Irgendwie kann ich das noch immer nicht richtig begreifen. Beim Aufräumen und Ausräumen meines heimischen Büros in Bruchsal-Obergrombach fand ich in irgendeiner Kiste mit Fotos, Büchern und Manuskripten von mir aus vier Jahrzehnten die neben stehende, 80 Seiten starke Broschüre in DIN a 5 aus dem Verlag mit dem Logo VSV.
Dahinter verbirgt sich: VOLKS-VERLAG SINGEN-HOHENTWIEL.
Im Innen-Cover steht dann die Quelle dieser Schrift:
Das Erscheinungsjahr in Deutschland – im Impressum vermerkt: 1947, Copyright by Volksverlag Singen (Hohentwiel). Und das alles offensichtlich autorisiert von der französischen Besatzungsmacht, anders kann ich folgenden „Visa-Vermerk“ nicht interpretieren:
Und dann geht es los mit dem 1. Kapitel: JOSEF WISSARIONOWITSCH STALIN (Dshugaschwili) wurde am 21. Dezember 1879 in der Stadt Gori, Gouvernement Tiflis, geboren…..
Den Rest erspare ich mir jetzt, denn das alles habe ich im Geburtsort des Diktators, Gori, im dortigen Stalin-Museum, das heute noch den Geist dieser Broschüre atmet, bei Dutzenden Besuchen als Reiseleiter deutscher Touristen über mich ergehen lassen. Allerdings, nicht ohne meine Gäste immer hinreichend auf das Museum vorbereitet zu haben. Denn: Das Museum ist das Museum, unverändert seit 1957 und sollte auch nicht verändert werden. Wo sonst lässt sich die Methodik totalitärer Verehrung von Diktatoren dieser Weltgeschichte noch im Original studieren?
Die letzten Sätze des Traktakts aus Singen/Hohentwiel des Jahres 1947 haben es allerdings in sich. Ich muss sie hier zitieren:
„Der Sozialismus hat in der Sowjetunion gesiegt und erringt neue Siege,
weil unsere gesamte Arbeit und unser Kampf von dem größten Menschen der
Gegenwart, dem treuen Fortsetzer des Werkes Lenins, von Josef Wissarionowitsch
Stalin geleitet werden.
Einmütig ist der Gedanke, aus tiefstem Herzen kommt der Wunsch der Werktätigen
unseres Landes und der ganzen Welt: Möge unser geliebter, unser großer Stalin
noch viele Jahre in Gesundheit leben und schaffen!
Es lebe das große, unbesiegbare Banner von Marx-Engels-Lenin-Stalin!“
Auf den Cover-Seiten 3 und 4 wirbt der Verlag übrigens noch für seine Reihe „Kleine Marxistische Bibliothek“. Zwei Broschüren waren bereits erschienen, sieben weitere der Autoren Lenin, Stalin, Engels und Marx befanden sich im Druck.
Wohlgemerkt, das alles hatte offensichtlich den Segen der französischen Besatzungsmacht bekommen und diente damit der öffentlichen Erziehung. Ob Singen am Hohentwiel vielleicht etwa doch Teil der Soffjetzone war.
Irgendwo, wenige Autominuten außerhalb von Gori liegt im Staub eines Baustofflagers die etwa 6 Meter hohe Bronze-Statue Stalins, die in Gori vor zehn Jahren erst vom zentralen Platz der Stadt verbannt wurde. Wann immer ich künftig mit meinen Reisegruppen dort vorbeischaue, werde ich sie an dieses Fazit aus der Broschüre eines badischen Verlags des Jahres 1947 erinnern.
Ich bin gespannt, ob irgendjemand etwas zur Geschichte dieses Verlages beitragen kann. Wie ich in den Besitz dieser Broschüre kam, ist mir allerdings nach wie vor rätselhaft.
Hier noch ein paar Fotos zum Thema: die Stalin-Statue im Staub von Gori und der Devotionalienshop im Stalin-Museum.