Eine Ausstellung der besonderen Art
Es sei zugegeben: Ich bin gestern Abend mit durchaus gemischten Gefühlen einer Einladung ins Bruchsaler Schloss gefolgt zur Eröffnung der Ausstellung „1250 Jahre Kraichgau“. Eine Ausstellung, die von vier Landkreisen und einigen Städten des Kraichgaus vorbereitet und veranstaltet wurde, offensichtlich unter der Führung der Abteilung Kultur des Hauptamtes der Stadt Bruchsal. Eine Ausstellung, die anlässlich des 1250. Jahrestages der ersten urkundlichen Erwähnung der Landschaft „Kraichgau“ vor allem ein Ziel verfolgte, diesen Raum historisch und kulturell so zu erzählen, dass er weit über den engeren regionalen Raum hinaus als Touristen-, Wirtschafts- und Freizeitzone noch besser bekannt wird. Durchaus ein ehrsames Ziel für regionale Gebietskörperschaften. Und unzählige Offizielle der Kraichgau-Familie aus mehreren Landkreisen, zwei Regierungspräsidien und vielen Städten und Gemeinden waren gekommen. Und dann – für mich – auf einem der 27 Roll-ups diese Überraschung:
Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, werden in einer solchen offiziellen kommunalen Veranstaltung auch historische Themen angeschnitten (und durchaus angemessen dargestellt!!!!), die bislang immer tunlichst umgangen wurden. Zum Beispiel der Beitrag der Juden zur Regionalgeschichte im Kraichgau und – vor allem – die Vertreibung der Juden und damit die Ausmerzung eines über Jahrhunderte wichtigen und angesehenen Teils der Kraichgauer Bevölkerung. Beides wurde in dieser Ausstellung wirklich angemessen dokumentiert.
Das gab es noch nie in Bruchsal, ich denke, dass ich mir diese Bemerkung durchaus erlauben darf angesichts der jetzt mehr als 30-jährigen Diskussion um Geschichte, ihre Interpretation und – vor allem – die Verantwortung vor der Geschichte, der sich eine Stadt stellen muss, will sie die Herausforderungen der Zukunft wirklich bestehen.
Und dann noch dieses: Ja, ein jüdischer Friedhof gehört auch zur 1.250-jährigen Geschichte des Kraichgaus.
Mehr noch: Ein weiteres Roll-up beschäftigte sich mit dem Thema „Zuwanderung im Kraichgau“.
Da wurden nicht nur die Flüchtlingsströme nach dem 2. Weltkrieg und die Gastarbeiterwelle der 60-er und 70-er Jahre behandelt. Die historische Linie wurde weiter gezogen bis zur heute aktuellen Frage der Migration nach Deutschland aus vielen Teilen und vielen Kulturen dieser Welt. Die aktuelle Analyse zu diesem Themenkomplex:
Ja, auch das gehört mittlerweile zum Kraichgau: ein muslimisches Minarett! Ein Ausschnitt aus dem Roll-up „Migration in den Kraichgau“:
Noch einmal eine ganz persönliche Anmerkung: Zum ersten Mal seit 30 Jahren, seit ich in diesen Themen journalistisch engagiert bin, wurden sie in einer offiziellen Veranstaltung der Stadt Bruchsal angemessen berücksichtigt und dargestellt und nicht verschwiegen. Hut ab! Und: Das nährt die Hoffnung, dass sich diese Haltung innerhalb der Stadtverwaltung vielleicht doch noch durchsetzt. Zum Beispiel auch in der Frage der künftigen Nutzung des früheren Synagogen-Areals. Thomas Adam, der Leiter der Abteilung Kultur im Hauptamt der Stadtverwaltung von Bruchsal, hat mit dieser Ausstellung ein Zeichen gesetzt und – hoffentlich – die Richtung vorgegeben. Mein Wunsch: Mögen ihm alle in der Stadtverwaltung und im Gemeinderat folgen, die heute noch anderer Meinung sind.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es für viele Menschen schwierig ist, den Begriff „Heimat“ zu definieren – oder überhaupt sagen zu können, was und wo der Kraichgau überhaupt ist.
Geschweige denn, welche jahrhunderte- und jahrtausendealte Geschichte er hat.
Mit den tiefen Spuren und Narben, die der Zweite Weltkrieg im „kollektiven Bewusstsein“ hinterlassen hat, suchen viele erst jetzt nach ihren Wurzeln, ihrem Platz in der sich immer mehr digitalisierenden und globalisierenden Welt.
Bisher, so scheint es mir, gab es die Phase der traumatisierten Verdrängung, gefolgt von der mahnend dagegen ankämpfenden Phase des Erinnerns an das verdrängte – Achtung: bereits tot-zitierte Phrase – „Dunkelste Kapitel der Geschichte“.
Nun endlich scheinen wir in der Lage zu sein, sachübergreifend in einer gewissen Gesamtheit zu denken.
Der Kraichgau und seine Geschichte. Ohne gut- oder bösmenschliche „Sonderbehandlung“ der Juden als historische Einzelerscheinung.
Sie waren und sind Teil unser aller Geschichte. Teil unserer Gesellschaft.
Mit all ihren Einflüssen auf unser heutiges Selbstverständnis.
Wenn die Mischpoke wiedermal meschugge wird, muss man einfach Tacheles reden.
Erst in dieser „Gesamtheit“ lässt sich vieles der Vergangenheit besser verstehen und einordnen. Hintergründe und Zusammenhänge verstehen.
Wenn wir all die Puzzleteile unserer „Vergangenheit“ in Augenhöhe gegenüberstellen.
Ohne fokussierende Einzelbetrachtung. Mehr in einer gelassenen, nicht wertenden Betrachtung der zusammengetragenen Fakten.
Hierbei allerdingst von einer, Zitat: „Haltung“ zu sprechen, gibt mir, angesichts dieses medial ständig wiederholten und hochgelobten Wortes, wieder einen negativen Beigeschmack.
Ich persönlich lehne deratig moralistisch-gleichgeschaltete Einheits-Narrative grundsätzlich ab.
Mir geht es nicht um den Konkurrenzkampf zwischen unterschiedlichen Betrachtungsweisen der „Geschichte“. Lediglich um die Fähigkeit, erkennen zu WOLLEN, was bisher alles „passiert“ ist und somit sowohl die Gegenwart besser verstehen zu können, als auch durch die Lehren daraus die Zukunft besser gestalten zu können.
UNAUFGEREGT!
Wenn ich das einigermaßen verstanden habe, kann ich weiter nachforschen: was gibt`s denn hier noch alles schönes und weniger schönes zu entdecken und erfahren.
Wusste gar nicht, wie viele, bisher unerkannte Dinge es hier gibt.
Da brauche ich ja gar nicht mit dem Flugzeug ans andere Ende der Welt zu fliegen, um meinen Horizont zu erweitern, wenn ich nichtmal weiß, was alles vor meiner Haustüre auf mich wartet.
Also bitte, bitte: keine „Haltung“ annehmen! Sonst dauert es eine weitere Generation lang, bis die Leute einfach nur selbständig denken und aus freien Stücken nach der Wahrheit suchen können.
Das war Sarkasmus! 😉
Shalom,
Gernot
Dass es ein langer Weg war, bis zur sachlichen Betrachtung eines Kapitels Geschichte des Kraichgau, erfährt der Leser mit dieser analytischen Betrachtung von Rainer Kaufmann, aber gleichermaßen auch die Anerkennung, dass diese Ausstellung nun endlich überfällige Akzente setzt. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum und wie konnte es geschehen, dass solcher Art Geschichtsbetrachtung so lange warten musste. Oder wurde sie vielleicht gar verhindert? Hier Antworten zu finden wäre wichtig, um diese wahrhaftige Schreibweise von Geschichte
fürderhin zur Normalität zu erheben. Ein Wurf von Rainer Kaufmann, der ins Schwarze traf!